Fakultät für Physik

Die Fakultät für Physik gliedert sich in 5 Institute und 2 Lehr- und Forschungsbereiche: das Physikalische Institut, die Institute für Angewandte Physik, für Theoretische Physik, für Kristallographie und das Astronomie Institut sowie die Lehr- und Forschungsbereiche für Geschichte und Naturwissenschaften und für Theoretische Astrophysik und Computational Physics. Die verschiedenen Forschungsprojekte können grob in die folgenden Schwerpunkte unterteilt werden:

(1) Bausteine der Materie (Quarks, Leptonen, Kerne, Atome)

(2) Festkörperphysik, Korpuskularstrahloptik, Materialwissenschaft, Nanotechnologie

(3) Astronomie und Astrophysik

Die Entwicklung der Forschungsprojekte auf diesen Teilgebieten wird im folgenden detailliert dargestellt. In diesem Vorspann muß jedoch erwähnt werden, daß all diese Forschungsaktivitäten durchgeführt wurden bei einer gleichzeitigen Überlast im Bereich der Lehre. Während die Zahl der Studierenden im Fach Physik im Berichtszeitraum sich unwesentlich veränderte, kam es gerade in jüngster Zeit zu einem Rückgang der finanziellen Mittelzuweisungen für die laufenden Ausgaben im Bereich von Forschung und Lehre, sowie zum Verlust von Professorenstellen, was zur Auflösung des Instituts für Informationsverarbeitung führte. Die finanziellen Probleme konnten durch eine sehr erfolgreiche Einwerbung von Drittmitteln wenigstens teilweise kompensiert werden. Diese Erfolge bei der Beschaffung von Drittmitteln sind ein sicheres Indiz für die erfolgreichen Arbeiten Tübinger Physiker. Aber auch die Vergabe von Drittmitteln ist häufig gekoppelt an eine solide Grundaustattung der beantragenden Arbeitsgruppe.

Die Fakultät für Physik begrüßt daher nachdrücklich das Forschungsförderungsprogramm des Landes Baden-Württemberg als einen Schritt in die richtige Richtung. Wissenschaftler der Fakultät sind gegenwärtig beteiligt an den Forschungsschwerpunkten "Supraleitung", "Visualisierung in Scientific Computing", "Physik der Atomhülle", "Nichtlineare Dynamik kontinuierlicher Systeme", "Struktur und Wechselwirkung von Hadronen und Kernen", "Realstruktur, Fehlordnung und Dynamik im Festkörper". Herauszustreichen ist auch das Graduiertenkolleg "Struktur und Wechselwirkung von Hadronen und Kernen", das von der DFG gefördert wird und eine äußerst effektive und unbürokratische Förderung der Doktorandenausbildung in Forschung und Lehre ermöglicht.

Das PHYSIKALISCHE INSTITUT forscht auf den Gebieten der Mittelenergie- und Kernphysik, der Atom- und Molekülphysik sowie der Festkörperphysik. Die Breite dieses Spektrums von Forschungsaufgaben bedingt eine methodische und instrumentelle Vielfalt, die sich als fruchtbar für alle Arbeitsgebiete des Instituts erwiesen hat.

Die Aktivitäten im Arbeitsbereich Mittelenergie- und Kernphysik sind von internationalen Kollabroationen an zahlreichen Beschleuniger- und Reaktorlaboratorien des In- und Auslandes geprägt. In der Mittelenergiephysik stellt man sich die Aufgabe, Zustände von Atomkernen zu untersuchen, bei denen die zusammengesetzte Natur der Kernbausteine eine Rolle spielt. Entsprechend werden als Sonden harte Photonen, Protonen von einigen hundert MeV sowie Pionen verwendet. Ein Teil der Experimente mit Pionen ist dem Studium der elementaren Pion-Nukleon-Wechselwirkung gewidmet, wobei neuerdings auch Polarisationsfreiheitsgrade untersucht werden. Bei Experimenten zum doppelten pionischen Ladungsaustausch an Kernen wurden Hinweise auf einen Dibaryon-Zustand gefunden. Der erstmalige Nachweis eines solchen 6-Quark-Zustandes wäre für die Theorie der hadronischen Materie von erheblicher Bedeutung. Deshalb wurden mehrere große Projekte auf den Weg gebracht, mit denen Existenz und Eigenschaften des Dibaryons genauer erforscht werden sollen. Mit energiemarkierten Photonen werden Experimente an leichten Kernen durchgeführt, bei denen die Bedeutung von kurzreichweitigen Nukleon-Nukleon-Korrelationen und von nukleonischen Freiheitsgraden bei der Absorption sehr harter Photonen deutlich wird. Mit elektromagnetischer Wechselwirkung bei mittleren Energien werden ferner die Ladungsverteilung im Neutron und die Spinstruktur des Protons untersucht. Auf dem Gebiet der traditionellen Kernphysik werden Präzisionsmessungen der Streuung von leichten und schweren Ionen an Kernen zur Bestimmung effektiver Nukleon-Nukleon-Wechselwirkung durchgeführt. Dazu werden optische Potentiale modellunabhängig aus den Streudaten ermittelt und im Rahmen von Doppelfaltungsmodellen analysiert. Die Ergebnisse, insbesondere über die Abhängigkeit der effektiven Wechselwirkung von der Kernmateriedichte, sind für die Zustandsgleichung kalter Kernmaterie und die Analyse von Experimenten auf dem Gebiet der Nuklearen Astrophysik von Bedeutung. Solche Experimente, insbesondere a-Einfangreaktionen, werden an stromstarken Niederenergiebeschleunigern durchgeführt. Die Ergebnisse sind u. a. für das Verständnis von Elementhäufigkeiten im Universum wichtig. Der Umfang der Forschungsaktivitäten am Tübinger 3 MV van-de-Graaff-Beschleuniger hat zugenommen. Zu dem langjährigen Programm der Neutronenstreuung an Wenig-Nukleonen-Systemen sind Arbeiten auf dem Gebiet der Nuklearen Astrophysik und der Kernspaltung hinzugekommen. Darüber hinaus dient der Beschleuniger, der mit hohem Auslastungsgrad zuverlässig läuft, der Lehre und Weiterbildung ebenso wie der Erprobung von Detektoren für die Mittelenergiephysik. In der Kernspaltung war die kalte Fragmentation Ziel weiterer Untersuchungen. Für die Spontanspaltung des ^2^5ýCf-Isotops konnte die Auflösung von Ionisationskammern so weit vorangetrieben werden, daß Spaltfragmente nach Masse und Kernladung zu identifizieren sind. Am Tübinger Beschleuniger wurden Winkelverteilungen von Spaltfragmenten in der kalten Spaltung gemessen, die darüber Aufschluß geben sollen, ob der Prozeß bereits an der Spaltbarriere angelegt ist. Die Entdeckung der Emission schwerer ternärer Cluster in der Spaltung gab Anlaß, Modelle zu deren Entstehungsmechanismus zu entwickeln. Die experimentelle Überprüfung dieser Modelle steht an. Paritätsverletzende Effekte in der Kernspaltung wurden genutzt, um sowohl in der binären als auch ternären Spaltung nachzuweisen, in welchem Stadium des Prozesses sich die Massenverteilungen der Fragmente ausbilden.

Auf dem Gebiet der Atom- und Molekülphysik werden mit verschiedenen laserspektroskopischen Methoden die mittleren Lebensdauern und Hyperfeinstrukturaufspaltungen angeregter Atomzustände untersucht mit dem Ziel, den Einfluß von Konfigurationsmischungen auf diese Größen zu studieren und so einen Beitrag zum Verständnis der Vielteilchen-Wechselwirkung in der Elektronenhülle zu erbringen. Die Beobachtungen von Relaxationsphänomenen bei atomaren Stoßprozessen liefern darüber hinaus Aussagen über die zwischenatomaren Wechselwirkungen. Daneben stehen experimentelle und theoretische Untersuchungen der Mehrfachstreuung von Photonen und des Strahlungstransports in Medien. Das Studium von Elektron-Photon- und Elektron-Elektron-Korrelationen bei Stoßprozessen relativistischer Elektronen mit Atomen ermöglicht strenge Tests der Theorien der Elementarprozesse der Bremsstrahlungserzeugung sowie der Ionisierung innerer Elektronenschalen. Die Relaxationsmechanismen magnetischer Kerndipole und elektrischer Kernquadrupole und der Einfluß der chemischen Umgebung werden bei Kernresonanzuntersuchungen in kondensierter Materie studiert. An Kernspintomographen werden, auch in Kooperation mit klinischen Arbeitsgruppen, zur Bildgebung und volumenaufgelösten Spektroskopie neue Meßmethoden eingesetzt, die von grundsätzlicher Bedeutung bei chemischen, biologischen und insbesondere medizinischen Untersuchungen sind. Durch die Entwicklung elektronischer Geräte, die z. T. die Anwendung neuartiger Meßverfahren ermöglichen, werden die genannten Experimente unterstützt. Für das KASCADE-Experiment am Kernforschungszentrum Karlsruhe, das der Erforschung der hochenergetischen Komponente der kosmischen Strahlung dient, wird die Trigger-Elektronik des Zentraldetektors entwickelt.

Im Arbeitsbereich der experimentellen Festkörperphysik konzentriert sich die Thematik auf die Tieftemperatur-Festkörperphysik. Das Spektrum der Untersuchungen reicht von Halbleitern über die klassischen Supraleiter bis zu den oxidischen Hochtemperatur-Supraleitern. Methodische Neuentwicklungen haben am Physikalischen Institut einen besonderen Stellenwert. Neben der seit vielen Jahren betriebenen neuen Technik der Tieftemperatur-Rasterelektronenmikroskopie sind hier ein neues Wirbelstromverfahren für die Diagnostik großflächiger Schichten aus Hochtemperatur-Supraleitern sowie ein neues Konzept für die Laser-Rastermikroskopie zu erwähnen. Als Basistechnologie für nahezu alle Forschungsprojekte spielen am Physikalischen Institut speziell entwickelte Verfahren für die Dünnschichtpräparation und die dazugehörige Mikrofabrikation eine wichtige Rolle. Die elektronischen Transporteigenschaften im Mischzustand dünner Schichten von Hochtemperatur-Supraleitern unter besonderer Berücksichtigung der Thermodiffusion der Quasiteilchen und der magnetischen Flußquanten wurden systematisch untersucht. Neue Experimente zur nichtlinearen Vortexdynamik bei hohen Geschwindigkeiten haben interessante neue Aufschlüsse einerseits über die mikroskopischen Streuprozesse und andererseits über die mikroskopischen Vortexeigenschaften ergeben. Ein sich noch im Wachstum befindlicher Schwerpunkt betrifft die Elektrochemie bei der Sauerstoffdiffusion in den Kuprat-Supraleitern. Neben der reinen Grundlagenforschung befaßt sich ein erheblicher Teil der Arbeiten mit Anwendungen der Supraleitung in der Mikroelektronik. Beispielhaft genannt seien hier Netzwerke von Josephsonkontakten für die kohärente Erzeugung von Mikrowellen, sowie Drei-Tor-Bauelemente von Hochtemperatur-Supraleitern.

Das INSTITUT FÜR ANGEWANDTE PHYSIK hat eine lange Tradition in der Elektronenoptik, der Strukturanalyse von Festkörpern bis in atomare Dimensionen, der Materialanalyse kleinster Bereiche sowie der Materialbearbeitung, der Herstellung und Prüfung von Strukturen im Submikrometerbereich für die Halbleitertechnologie und Mikroelektronik. Es fördert damit physikalische Technologien, die sowohl für die biologisch-medizinische Forschung als auch für die Materialwissenschaft und besonders für die moderne Halbleitertechnologie von Bedeutung sind. Die Schwerpunktthemen liegen im Bereich der Physik von Elektronen-, Ionen- und Röntgenstrahlen, die in Zusammenarbeit zwischen den Professuren innerhalb und außerhalb des Instituts erforscht und für die praktische Anwendung nutzbar gemacht wird.

Auf dem Gebiet der theoretischen und experimentellen Physik der Elektronenstrahlen wurden in jüngster Zeit verschiedene interessante Einzelprojekte behandelt: Mit neuartigen Quellen können wichtige Parameter wie z. B. der Richtstrahlwert verbessert werden. Arbeiten an elektronenoptischen Bauelementen (geeignete Konfigurationen elektrischer und magnetischer Felder) dienen der Optimierung der Strahlführung. Untersuchungen zur Wechselwirkung der Elektronenstrahlen mit Materie führen einerseits zu effizienteren Detektorsystemen, andererseits zur Verbesserung der Verfahren bei der Mikrostrukturerzeugung durch Elektronenstrahlen.

Grundlegende Untersuchungen befassen sich mit den Welleneigenschaften freier Elektronen, die sich für zahlreiche fundamentale Interferenzexperimente nutzen lassen. Bei der Weiterentwicklung der Elektronenholographie, die durch die Ausnutzung quantenmechanischer Interferenzeffekte die Auflösung von Elektronenmikroskopen weiter in Richtung atomarer Dimensionen steigert, besteht ein umfangreiches, von der Europäischen Gemeinschaft gefördertes Kooperationsprojekt, in dem diese Methodik gemeinsam mit den beteiligten Industriefirmen für die kommerzielle Anwendung nutzbar gemacht wird.

Weitere Arbeiten dienen der Herstellung und Strukturuntersuchung dünner Schichten. Diese werden u. a. zum Aufbau von MIM-Kathodensystemen eingesetzt. Zur Oberflächenabbildung und -analyse werden verschiedene Verfahren erforscht, die die Spektrometrie von am Objekt ausgelösten Photo- und Augerelektronen wie auch von Ionen nutzen.

Auf dem Arbeitsgebiet Spitzenabtastmikroskopie wurden wichtige methodische Fortschritte in der Geräteentwicklung gemacht. Die Entwicklung und erfolgreiche Erprobung eines neuartigen, sehr kompakten Tunnelmikroskoptyps ermöglicht Messungen an Proben unter Tieftemperaturbedingungen bis herab zu 6K. Unter Umgebungsbedingungen wurden Experimente an organischen Molekülschichten durchgeführt. Ein im Institut entwickeltes UHV-Mikroskop wird für die Untersuchung von Oberflächenreaktionen genutzt.

Durch Neuberufungen kamen zu diesen auch weiterhin bearbeiteten traditionellen Themen neue Schwerpunkte hinzu: Im neuen Bereich "Neue Elektronenoptiken für Neue Materialien" wird in erster Linie die Erforschung der Struktur und die Analyse der chemischen Zusammensetzung mikroskopischer Bereiche neuer Materialien mit Elektronen betrieben. Forschungsschwerpunkte sind: Energiefilternde Transmissionselektronenmikroskopie (EFTEM), Niederspannungselektronenoptiken, Elektronenmonochromatoren und Elektroneninterferometrie. Während die EFTEM der materialwissenschaftlichen Erforschung von Volumeneffekten in Legierungen, Keramiken, Halbleitern und Kunststoffen dienen wird, sollen neue Niederspannungsoptiken und elektroneninterferometrische Methoden zur Untersuchung von Oberflächen eingesetzt werden. Bei den Oberflächenuntersuchungen gilt das Hauptinteresse der Metrologie, Defektinspektion, Defektanalyse und der elektronenstrahlmeßtechnischen Schaltungsanalyse von Halbleiterwafern und integrierten Schaltkreisen.

Neue Schwerpunkte ergeben sich auch im Bereich "Physikalische Grundlagen der Informatik", dessen Aufbau im Herbst 1992 begonnen wurde. Ziel ist die Erforschung von physikalischen Vorgängen, die die Grundlage für die Funktion von informationsverarbeitenden Elementen bilden. Dabei interessieren die Genzen von Bauelementen, die Möglichkeiten für neuartige Bauelemente, wie sie durch die Fabrikationstechniken und Materialien gesetzt werden. Der Fähigkeit, kritische Dimensionen nanometergenau kontrollieren zu können, kommt dabei zentrale Bedeutung zu. Zu diesem Zweck wird ein Nanostrukturlabor mit Elektronenstrahllithographie und reaktiven Vakuumprozessen zur Musterübertragung eingerichtet. Die Rastertunnel- und Rasterkraftmikroskopie wird sowohl zur Untersuchung komplexer Oberflächen bis hin zu makromolekularen Sensorschichten eingesetzt als auch methodisch hinsichtlich der Strukturierung geeigneter Materialien untersucht. Miniaturisierte elektronenoptische Systeme haben das Potential, durch parallele Anordnung mit Hilfe der Mikrosystemtechnik Elektronenstrahllithographie im Nanometerbereich zu Produktionsbedingungen zu ermöglichen. Grundlegende Probleme dieser Technologie werden untersucht.

Die experimentellen Arbeiten werden unterstützt durch die Professur für Elektronik, die sich überwiegend den Einsatzmöglichkeiten moderner Digitaltechnik in der Experimentalphysik widmet.

Der Schwerpunkt der Forschung am INSTITUT FÜR THEORETISCHE PHYSIK liegt auf dem Gebiet der Untersuchung von Vielteilchensystemen. Zur Beschreibung zusammengesetzter Quantensysteme werden moderne Methoden der mathematischen Physik entwickelt und angewandt. Bei der Anwendung dieser Methoden auf konkrete physikalische Systeme sind umfangreiche numerische Rechnungen erforderlich. Auch zur Lösung der dabei anfallenden numerischen Probleme werden neue Methoden erarbeitet und die entsprechende Computer-Software erstellt. Bei den Versuchen, die Gültigkeit der theoretischen Vorstellungen zu verifizieren, werden Vorhersagen der Theorie mit experimentellen Daten insbesondere aus den Bereichen Hochenergie-, Kern- und Festkörperphysik verglichen. Neben diesen Gebieten werden am Institut auch Probleme der Allgemeinen Relativitätstheorie bearbeitet und die Einstein-Gleichungen für ausgewählte Modellsysteme gelöst. Dabei werden insbesondere rotierende Objekte untersucht. Im Berichtszeitraum wurden von Mitarbeitern der verschiedenen Arbeitsgruppen insgesamt über 250 Arbeiten veröffentlicht.

Im Bereich der Theorie der kondensierten Materie werden die thermodynamischen Eigenschaften von makroskopischen Vielteilchensystemen aus mikroskopischen Modellen entwickelt. So werden z. B. Quantenphänomene bei kondensierten Systemen wie Supraleitern oder Supraflüssigkeiten untersucht. Auf dem gleichen Gebiet werden auch anwendungsorientierte Fragen, wie die Frage nach der mikroskopischen Grundlage der Wasserstoffspeicherung in Metallen behandelt. Ein besonderes Interesse ist auch neuen, nichtperiodisch geordneten Materialien gewidmet. Für diese Quasikristalle werden Modelle der räumlichen atomaren Anordnung entwickelt. Elektronenzustände, Mößbauerdaten, Defekte und Diffusionsvorgänge in diesen neuen Materialien werden untersucht.

Komplizierte Vielteilchenprobleme müssen auch gelöst werden, um die Natur der mikroskopischen Bausteine der Materie zu verstehen. So erfordert es eine genaue theoretische Analyse, um aus den vielen Reaktionsprodukten, die entstehen, wenn zwei schwere Atomkerne aufeinandergeschlossen werden, Informationen zu entnehmen, die uns einem Verständnis der Bausteine näher bringen. Es wird außerdem versucht, die Anregungsmoden einzelner Atomkerne zu beschreiben. Aus den Übergängen zwischen einzelnen Kernzuständen etwa beim doppelten Beta-Zerfall konnten zentrale Erkenntnisse über eine mögliche Vereinheitlichung aller Naturkräfte gewonnen werden. Es konnte weiterhin gezeigt werden, daß Nukleonen und Mesonen im Atomkern andere Eigenschaften besitzen als wenn sie isoliert auftreten. Dies deutet bereits darauf hin, daß Nukleonen und Mesonen nicht die elementaren Bausteine der Materie sind. Deshalb wird am Institut auch in verschiedenen Arbeitsgruppen versucht, den Aufbau dieser Hadronen aus Quarks und den entsprechenden Antiteilchen im Rahmen der Quantenchromodynamik zu verstehen. Aber auch dieses jetzt weitgehend akzeptierte Standardmodell ist so komplex, daß man versucht, die verschiedenen Parameter, wie etwa die Eigenschaften der Quarks in einem Präonmodell, einer einheitlichen Theorie von Materie, Kräften und Feldern zu verstehen, eine Theorie, die ebenfalls an unserem Institut entwickelt wird.

Die Quantenchromodynamik (QCD), die inzwischen als Theorie der Kernkräfte für Elementarteilchen und Kerne akzeptiert ist, kann nicht exakt gelöst werden. Störungstheorie liefert für hohe Energien gute Resultate. Für die Struktur der Elementarteilchen und deren Wechselwirkung ist man jedoch auf Modelle angewiesen, die in Tübingen erfolgreich weiterentwickelt wurden. Große Anstrengungen werden auch durchgeführt unternommen, um z. B. mit der Pfadintegralmethode solche Modelle aus der QCD zu begründen.

Auf jeder Stufe in dieser Hierarchie von Modellen für den Aufbau der Materie tritt das Problem auf, die Wechselwirkung zusammengesetzter Teilchen aus den Eigenschaften ihrer Konstituenten herzuleiten. Dabei hat sich das 'Cluster-Modell' bewährt, das am hiesigen Institut entwickelt wurde und inzwischen weltweit Anerkennung gefunden hat.

Im Bereich der Nichtlinearen Dynamik physikalischer Systeme werden Strukturbildungsprozesse in Systemen fern vom Gleichgewicht unter einheitlichen mathematischen und physikalischen Aspekten untersucht. Repräsentativ sind Musterbildung in Lasersystemen, in der Festkörperphysik und in der Hydrodynamik sowie in nichtlinearen Netzwerken gekoppelter Oszillatoren und "neuronaler" Bauelemente, deren Komponenten kooperativ zusammenwirken.

Am ASTRONOMISCHEN INSTITUT werden neben der klassischen optischen Astronomie Messungen in Wellenlängenbereichen durchgeführt, die nicht vom Erdboden aus zugänglich sind, sondern den Einsatz von Weltraumträgern, wie Ballone, Raketen und Satelliten erfordern.

In der Röntgenastronomie ist das Institut an mehreren Satelliten beteiligt, darunter sind das "High Energy X-Ray Experiment" (HEXE) an Bord der russischen Raumstation MIR, mit dem u. a. die ersten Spektren der Supernova 1987A im harten Röntgenbereich beobachtet werden konnten, und der deutsche Röntgensatellit ROSAT, der am 1. Juni 1990 erfolgreich gestartet wurde und immer noch erfolgreich beobachtet. In diesem Zusammenhang hat das Institut die Federführung bei dem Betrieb des Deutschen XUV Datenzentrums (GXUVDC). Ein Schwerpunkt liegt bei der Untersuchung von Aktiven Galaxien mit Daten des Röntgenteleskops auf ROSAT. Das über viele Jahre durchgeführte Ballonprogramm in der Hochenergie-Röntgenastronomie wird in reduzierter Form mit kleinen Beteiligungen weitergeführt. Die technologische Entwicklung einer CCD-Kamera für den Röntgen-Satelliten XMM ist mit der erfolgten Abnahme der Kamera durch die ESA in eine entscheidende Phase getreten. Die Beteiligung an der Nutzung des amerikanischen Compton Gamma Ray Observatory (CGRO) wurde mit weiteren erfolgreichen Beobachtungsvorschlägen fortgeführt.

1993 wurde das mit zwei verschiedenen Spektrometern für den Fernen und den Extremen Ultraviolettbereich gebaute Teleskop (ORFEUS) auf dem Trägersatelliten ASTRO-SPAS integriert und mit dem Space Shuttle in eine Umlaufbahn gebracht. Nach dem Aussetzen der Plattform und einer mehrere Tage dauernden Beobachtungsmission, wurde der Freiflieger wieder geborgen und zur Erde zurückgebracht. Ein zweiter Flug dieser Art ist für Ende 1995 vorgesehen.

Der optische und ultraviolette Spektralbereich wird sowohl mit bodengebundenen, als auch mit weltraumgestützten Instrumenten bearbeitet. Optische Messungen wurden am Deutsch-Spanischen Astronomie-Zentrum auf dem Calar Alto, bei der Europäischen Südsternwarte auf La Silla in Chile sowie in Siding Spring, Australien durchgeführt. Schwerpunktthemen waren dabei die Untersuchung von Planetarischen Nebeln, Aktiven Galaxien, Be-Sternen und Kataklysmischen Variablen. Im Ultraviolettbereich beteiligt sich das Institut über die europäische Weltraumbehörde ESA an der Nutzung des "International Ultraviolet Explorer" (IUE). Mit der Beteiligung am TYCHO-Experiment auf dem Satelliten HIPPARCOS wird Photometrie an einer großen Zahl von Sternen durchgeführt. Eine Beteiligung besteht ebenfalls an dem Experiment SUMER auf SOHO zur Untersuchung der Sonne im Ultravioletten.

Es wurden intensive Vorarbeiten für die Beteiligung des Instituts an neuen Satellitenvorhaben geleistet: INTEGRAL (eine neue Mission der ESA zur Gamma-Astronomie), ABRIXAS (ein geplanter nationaler Kleinsatellit für die Mittelenergie-Röntgenastronomie) und SPECTRUM-UV (eine Mission zusammen mit Russland).

Das Institut hat die Federführung bei der Verwirklichung des "Deutschen Astronetzes" (DAN), eines Rechnerverbundes aller Astronomie-Institute in Deutschland.

Die spektrographischen Messungen der solaren Radiostrahlung in der Außenstelle Weißenau des Instituts wurden eingestellt.

Am Lehr- und Forschungsbereich THEORETISCHE ASTROPHYSIK UND COMPUTATIONAL PHYSICS der Schwerpunkt der astrophysikalischen Thematik auf der theoretischen Behandlung der Physik von kompakten kosmischen Objekten, wie Weißen Zwergsternen, Neutronensternen und Schwarzen Löchern. Diese Objekte können sowohl isoliert als auch als eine Komponente in engen Doppelsternsystemen auftreten.

Insbesonders beschäftigen wir uns mit stark magnetisierten schnell rotierenden Neutronensternen, die man als Radio- und Röntgenpulsare beobachtet. Dabei werden, mit zum Teil großem numerischem Aufwand, Untersuchungen zur globalen Struktur der Magnetosphären, Akkretionssäulen und -scheiben dieser Systeme sowie zur Modellierung der Lichtkurven und Spektren durchgeführt.

Wichtige Teilprojekte sind dabei die Berechnung von nicht-thermischen Elektronenverteilungsfunktionen, verursacht durch konkurrierende Prozesse der Bremsstrahlungsemission und der Elektron-Proton-Stöße sowie die Modellierung des Strahlungstransports in Akkretionssäulen und dessen Kopplung an die Plasmadynamik. In einem weiteren Arbeitsgebiet befassen wir uns mit Untersuchungen zur Physik der Akkretionsscheiben. Zum einen geht es dabei um die Berechnung des emittierten UV- und Röntgenspektrums von Scheiben in den Kernen aktiver Galaxien; dazu wird die Scheibenstruktur zusammen mit Strahlungstransportrechnungen selbstkonsistent bestimmt. Außerdem wird an der Modellierung von Akkretionsscheiben in engen Doppelsternsystemen gearbeitet. Die Berechnung der Scheibendynamik erfolgt dabei numerisch mit Hilfe speziell entwickelter Teilchenmethoden zur Lösung der gasdynamischen Gleichungen.

Im Bereich Weiße Zwerge werden atomphysikalische Daten berechnet, die zur Interpretation der Spektren und insbesondere zur Durchführung detaillierter Modellatmoshärenrechnungen erforderlich sind. Konkret ist dies die möglichst genaue Bestimmung der Energiewerte und Absorptionskoeffizienten angeregter Zustände des Wasserstoff- und des Heliumatoms in Abhängigkeit vom Magnetfeld sowie elektrischen Feld. Parallel dazu beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe (Atomphysik und Chaos) mit der Erforschung hochangeregter Atome in starken Labormagnetfeldern und den dabei auftretenden Fragen nach der Natur des Quantenchaos. Bei hochangeregten Atomen genügen bereits Labormagnetfelder, um die Dominanz der magnetischen Kräfte über die Coulomb-Kräfte herbeizuführen. Die unterschiedlichen Symmetrien dieser Kräfte führen zur Nichtintegrabilität des Systems. Rydberg-Atome in äußeren Feldern sind daher Paradebeispiele zur Untersuchung der Erscheinungsformen von Quantenchaos.

Auf dem Gebiet der numerischen Relativitätstheorie geht es um die Lösung der Einsteinschen Feldgleichungen für Systeme mit starker Gravitation. Dabei werden sowohl stationäre Probleme wie die Struktur kompakter rotierender Objekte (Neutronensterne) als auch zeitabhängige Probleme wie Schwingungen und Kollapsphänomene sowie deren Gravitationswellenstrahlung untersucht. Zur Visualisierung von solchen gekrümmten Raumzeiten verwenden wir Einbettungsmethoden und vierdimensionales Ray-Tracing.

Eine weitere Arbeitsgruppe beschäftigt sich im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie mit grundsätzlichen Problemen der Raum-Zeit-Struktur im Hinblick auf die Geodäsie und Astrometrie der neunziger Jahre, sowie mit Problemen der globalen Bewegung der Erde im Raum und solche der klassischen Himmelsmechanik.

Einen interdisziplinären Arbeitsbereich stellt die Biomechanik und medizinische Bildverarbeitung dar. Hier werden einerseits physikalische Modelle entwickelt, mit denen die mechanischen Belastungen des menschlichen Körpers zuverlässig bestimmt werden können. Derartige Untersuchungen sind z. B. für die Beurteilung der Kräfte im Knie- und Hüftgelenk bei Abstürzen und Unfällen notwendig. In der medizinischen Bildverarbeitung werden Algorithmen entwickelt, mit deren Hilfe man aus verschiedenen bildgebenden Verfahren geometrisch korrekte, hoch aufgelöste dreidimensionale Strukturen (z. B. den Gefäßbaum des Kopfes) rekonstruieren kann.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt im Bereich der Angewandten Informatik. So wurden z. B. für die Visualisierung der riesigen Datenmengen, die bei den umfangreichen numerischen Simulationen anfallen, neue Methoden zur graphischen Darstellung entwickelt. Desweiteren werden zur Integration der Ressourcen von lokalen Workstations und Supercomputern für das DFN in Zusammenarbeit mit dem Rechenzentrum der Universität Stuttgart neuartige Dienste zur Verteilung von Anwendungen über Hochgeschwindigkeitsnetze entwickelt.

Die Arbeiten des INSTITUTS FÜR KRISTALLOGRAPHIE analysieren Fragen der Festkörperphysik mit den Verfahren der Kristallographie, wobei die Methodenentwicklung Vorrang hat. Als Methoden verwenden wir: Röntgen- und Neutronenstreuung, Kristalloptik, die Messung langsamer magnetischer Relaxation.

Bei den Röntgenverfahren stehen hochauflösende Pulver- und Einkristalltechniken, vor allem für tiefe Temperaturen, im Vordergrund. Im Tübinger Labor wird dabei die fokussierende Röntgenoptik eingesetzt; kürzlich wurde ein neuartiges Guinier-Pulver-Diffraktometer fertiggestellt, bei dem sämtliche Justier- und Meßfreiheitsgrade rechnergesteuert sind. An der Synchrotron-Röntgenquelle DORIS/HASYLAB Hamburg arbeiten wir mit einem hochauflösenden Pulverdiffraktometer mit Paralleloptik.

Das Institut betreibt am erneuerten Forschungsreaktor BER II des Hahn-Meitner-Instituts Berlin ein Pulver- und Einkristall-Diffraktometer, das mit einem Vielfach-Detektor (400 Detektoren im Streuintervall D2U = 80º) ausgestattet ist. Die gestreute Intensität kann auf Energieverlust oder -gewinn des Neutrons analysiert werden: damit sind Aussagen über dynamische Prozesse in der Probe möglich.

Rechnergesteuerte Verfahren zur Messung der optischen Doppelbrechung und der magnetischen Verluste im rotierenden Feld liefern Meßdaten hoher Genauigkeit. Bei der Entwicklung der Meßmethoden legen wir großen Wert auf die Automatisierung der Verfahren und auf eine möglichst umfangreiche Auswerte-Software. Diesem Zweck dient z. B. SIMREF, ein Programm zur simultanen Strukturanalyse aus mehreren mit verschiedenen Methoden gemessenen Pulverdatensätzen: damit lassen sich Vorteile der Röntgen- und der Neutronenbeugung kombinieren.

Bei den Fragen der Festkörperphysik geht es um die Struktur des Realkristalls, also die Abweichungen von der gemittelten Struktur, um Phasenumwandlungen und um Einfrierprozesse in Spingläsern. Im Berichtszeitraum sind z. B. mit Hilfe der anomalen Röntgenstreuung sehr schwache Verschiebungen der Kationengitter im HT.c-Supraleiter YBa.2Cu.3O.7. .x gefunden worden, die mit dem Ladungsreservoir für die supraleitenden Elektronen zusammenhängen können. Die Analyse der Rotations-Translations-Kopplung von Molekülen im kristallinen Zustand haben wir inzwischen bis zur Simulation der Molekülbewegung in den experimentell gefundenen Kristallpotentialen weiterentwickelt: darin werden erstmalig chaotische Molekülbewegungen und ihr Frequenzspektrum in realen Kristallen sichtbar. Bei der Untersuchung der amorphen Spingläser interessieren besonders die nichtlinearen Prozesse der Rotationsmagnetisierung, der Zusammenhang mit dem nicht-ergodischen Verhalten und der Einfluß externer Parameter (Zusammensetzung, Rekristallisation) auf den Spinglaszustand. Bei Quasikristallen im System Al-Pd-Mn finden wir aus der Rotationsmagnetisierung Spinglasordnung mit einer für diese Substanzklasse ungewöhnlich hohen Einfriertemperatur nahe bei 300 K.

Der Lehr- und Forschungsbereich GESCHICHTE DER NATURWISSENSCHAFTEN beschäftigt sich mit der Entstehung und Ausbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Traditionen in den westlichen und östlichen Hochkulturen, vor allem auf den Gebieten Mathematik, Astronomie, Physik, Chemie.

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